Bioökonomie-Projekt an der Uni Hohenheim
Nachhaltiges Wachstum fördern, dem Klimawandel entgegenwirken und Europa unabhängiger von fossilen Stoffen wie Erdöl machen: Das alles soll die Bioökonomie leisten können. Dennoch kommt der Ausbau dieser nachhaltigen Alternative zu fossilen Rohstoffen nur langsam voran. Dem soll ein neues Forschungsprojekt an der Uni Hohenheim entgegenwirken.
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Riesenschilf Miscanthus: Robuste Sorten im Test
In Deutschland kennt man das aus China stammende Miscanthus (Chinaschilf) vor allem als Ziergras im Garten. An der Universität Hohenheim haben Wissenschaftler mit der gut drei Meter hohen Hybride Miscanthus x giganteus dagegen Größeres vor: Hier wird Miscanthus als Biomasse für die Energiegewinnung und für die Weiterverarbeitung zu anderen Stoffen angebaut.
Neben Miscanthus haben die Projektpartner auch Hanf ins Auge gefasst. Aber besonders vom genügsamen und vergleichsweise robusten Miscanthusgras versprechen sich die Projektpartner großes Potenzial für die Bioökonomie. Einmal auf einem Feld etabliert, wächst die Pflanze jahrzehntelang in Dauerkultur und bietet dabei einen hohen Flächenertrag.
Einzige Schwäche der Pflanze: Bislang muss sie über Ableger angepflanzt werden, was vergleichsweise aufwendig und teuer ist. Bislang scheuen viele Landwirte deshalb die Investition an Zeit und Aufwand, die Miscanthus zu Beginn erfordert. An den beiden Universitäten von Wageningen (NL) und Aberystwyth (GB) wurden deshalb bereits vor Projektbeginn neue Sorten entwickelt, die sich über Samen vermehren lassen. Im Projekt werden sieben der neuen Sorten getestet.
Gemeinsam mit dem Miscanthusproduzenten Terravesta (GB) und der Saatgutfirma Vandinter Semo (NL) werden die neuen Sorten nun vermehrt, im Anbau getestet und für die weitere Züchtung charakterisiert. Das Ziel: Kälte- und trockenheitsresistente Miscanthus-Sorten, die mit der Standardhybride Miscanthus x giganteus in punkto Ertrag mithalten können oder sie sogar übertreffen, dabei aber dank Saatgutvermehrung eine geringere Startinvestition erfordern.
Biomasse-Anbau für die Industrie – auch auf Schwermetall-verseuchten Flächen
An 21 Standorten in Europa werden die Miscanthus-Sorten getestet, 4 Versuche beschäftigen sich mit dem Anbau von Hanf. Begleitet werden die Anbauversuche von Wissenschaftlern der beteiligten Universitäten Hohenheim (D), Aberystwyth (GB), Wageningen (NL), dem Nationalen Institut für Agronomieforschung (INRA) in Versailles und Montpellier (F), der Università Cattolica del Sacre Cuore in Piacenza (I) und der Agrarwissenschaftlichen Fakultät der Universität Zagreb (HR).
Untersucht werden unter anderem die Auswirkungen des Miscanthus-Anbaus auf die Biodiversität. Dazu gehört auch die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die neuen, saatgutvermehrten Sorten keimfähige Samen ausbilden und wie vermieden werden kann, dass die neuen Sorten auswildern und einheimische Arten verdrängen.
An einigen Standorten testen die Partner den Anbau von Miscanthus auf schwermetallbelasteten Flächen, zum Beispiel neben dem Rollfeld eines Flughafens oder auf ehemaligen Schwerindustrieflächen. Sie wollen untersuchen, welche Auswirkungen die Schwermetallbelastung auf die Pflanzen hat, ob Schwermetalle in der Biomasse wiederzufinden sind und wie belastete Biomasse ohne Gesundheitsrisiko genutzt und weiterverarbeitet werden kann.
Die Firmen Terravesta (NL), Miscanthus Group (NL), Gießereitechnik Kühn (D) und Novabiom (F) bringen ihre Erfahrung im Miscanthus-Anbau ein und verarbeiten die Biomasse zum Teil auch selbst weiter. Die Firma Miscanthus F.A.R.M (A) berät und unterstützt die Anbauversuche.
Den Hanfanbau übernehmen die Firma Ecohemp (I) und das Consorzio di Bonifica di Piacenza (I). Ein Versuch beschäftigt sich zum Beispiel mit dem sogenannten Streifenanbau: Dabei werden streifenweise Hanf und Miscanthus angebaut, um die Vorteile beider Pflanzen zu nutzen: für ertragsarme Standorte in den Apenninen ist Hanf mit seinem Ertrag an Stroh und Samen eine wirtschaftlich besonders lohnende Anbauoption, Miscanthus als Dauerkultur senkt dabei das Erosionsrisiko und stabilisiert den Boden.
Wertschöpfungsketten verbessern
Ein zentrales Anliegen des Projektes ist es, lohnende Verwertungsmöglichkeiten für Biomasse aufzuzeigen und die Projektpartner so zu vernetzen, dass die Biomasse entlang der gesamten Wertschöpfungskette möglichst effizient, vollständig und vielfältig genutzt wird.
An der Uni Hohenheim gewinnen die Forscher mit Hilfe der Firma AVA Biochem aus Miscanthus-Stroh Zucker und produzieren daraus die Chemikalie HMF. Sie ist zum Beispiel Ausgangsstoff für Plastikflaschen oder Nylonstrümpfe. Aus dem verbliebenen Lignin, das der Pflanze als Stützmaterial dient, entsteht Phenol, ein weiterer Zwischenstoff für die Kunststoffgewinnung. Was danach vom Miscanthus-Gras übrig bleibt, wandert in die Biogasanlage der Universität – und anschließend als Dünger zurück auf die Felder. Das ist nur ein Beispiel für eine lückenlose und nachhaltige Wertschöpfungskette, bei der man aus Biomassepflanzen die verschiedensten Produkte und Energielieferanten gewinnt.
In verschiedenen Anwendungsversuchen demonstrieren die Partner dafür eine Reihe von Beispielen aus den verschiedensten Einsatzbereichen: von Bau- und Isoliermaterialien, Basis-Chemikalien für die Kunststoffherstellung, Biokraftstoff, Verbundwerkstoffen und Bioherbizid als Glyphosat-Ersatz bis hin zu Anwendungen in Medikamenten oder Kosmetikprodukten.
Hintergrund: „Growing Advanced industrial Crops on Marginal Lands for Biorefineries (GRACE)”
Bioökonomie als Alternative zum Erdöl - um das voranzubringen, braucht es eine verlässliche und preisgünstige Versorgung mit Biomasse als Rohstoff für nachhaltige und wirtschaftlich rentable Produkte. Außerdem müssen sich Biomasse-Produzenten und weiterverarbeitende Industrie besser vernetzen. Diese Ziele verfolgt, unter Federführung der Universität Hohenheim in Stuttgart, ein einzigartiger Verbund aus Universitäten, Agrarunternehmen und Industrie. Das EU-Projekt „Growing Advanced industrial Crops on Marginal Lands for Biorefineries (GRACE)” fördert den intensiven Austausch der Partner sowie den Anbau von neu gezüchteten, robusteren Sorten. Er soll zum Teil auf Flächen erfolgen, die mit Schwermetallen belastet oder aufgrund schwacher Erträge keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion darstellen. Dabei soll auch die Artenvielfalt geschützt werden. 15 Mio. Euro Fördergeld dafür kommen aus Mitteln der EU und der Industriepartner.
Das Projekt “Growing Advanced industrial Crops on Marginal Lands for Biorefineries (GRACE)” beginnt am 1. Juni 2017 und läuft bis 31. Mai 2022. Gefördert wird das Projekt mit 12,3 Millionen Euro durch die privat-öffentliche Forschungskooperation (Public-Private Partnership) „Bio-based Industries Joint Undertaking (BBI JU)“ zwischen der Europäischen Union und dem Bio-based Industries Consortium (BIC), einem Zusammenschluss aus Großunternehmen der Bioökonomie. Die übrigen 2,7 Millionen Euro bringen die privaten Projektpartner als Eigenbeteiligung ein.
Kontakt:
M.Sc. Andreas Kiesel, Universität Hohenheim, Fachgebiet Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergiepflanzen, T 0711 459 22379, E a.kiesel@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. agr. Iris Lewandowski, Universität Hohenheim, Leiterin des Fachgebiets Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergiepflanzen
T 0711 459 22221, E Iris_Lewandowski@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Andrea Kruse Universität Hohenheim, Leiterin des Fachgebietes Konversionstechnologie und Systembewertung nachwachsender Rohstoffe
T 0711 459 24700, E Andrea_Kruse@uni-hohenheim.de
Dr. sc. agr. Hans-Joachim Nägele, Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie
T 0711 459 22505, E hajo.naegele@uni-hohenheim.de
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