Umwege
Wir wohnen hier in einer schönen Gegend. Da, wo andere Menschen Urlaub machen. Unseren sensibleren und gärtnernden Besuchern von weiter weg empfehle ich mittlerweile allerdings die Anreise über die nördliche Autobahn. Ich behaupte dann: Bauarbeiten auf dem Weg von der südlichen Autobahn. Das ist für viele zwar ein Umweg und leider auch ein Mehr an Abgasen, allerdings muss ich mir dann auch nicht das Fluchen, Klagen oder laute Schimpfen anhören.
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Der Grund für das Entsetzen ist eine Allee aus weitestgehend zerschundenen Prunus serrulata ‘Flittchen’, besser bekannt als ‘Kanzan‘, welche bei der südlichen Anreise kaum zu übersehen sind. Wer, vom Leichtsinn getrieben, dieser Allee weiter ins Dorf hinein folgt, entdeckt sogar unförmige Exemplare, die nur noch aus einem wulstigen Stamm mit ein paar Zweiglein neben riesigen Schnittflächen bestehen. Ein Gärtner mit koreanischen Wurzeln bedauerte bei einer Besichtigung, sein Werkzeug (oder Waffen?) nicht parat zu haben. Ich war mir seinerzeit nicht sicher, was er mehr verachtete: Die Art an sich oder die daran ausgeübte Pflegetechnik.
Es ist mir ein Rätsel, wie sich alljährlich zahlreiche Motorradfahrer, Brautpaare, Autobesitzer und ganz normale Passanten zur Blütezeit dort einfinden können, um sich in dieser kaum noch bemühten und eher vor sich hinsiechenden Kulisse fotografisch zu verewigen. Das wurde in jüngerer Zeit sogar dem lokalen Ordnungsamt zu voll und es sah Handlungsbedarf. Es kontrolliert dort nun zur Blütezeit, ob auch sämtliche Pandemieregeln eingehalten werden. Leider fühlt es sich nicht für die spektakuläre Verschlimmbesserung zuständig. Als wäre die Kombination von ‘Kanzan‘ mit ihrer typischen Unterlage aus ästhetischer Sicht nicht schon problematisch genug, kommen konsequent niedrig ausgeführte und umfängliche Kappungsschnitte vor. Wahrscheinlich bin ich nur hysterisch, denn spricht man die Einheimischen darauf an, erwidern sie, dass Bäume hier schon immer so geschnitten wurden, dass kaputte Exemplare ständig ersetzt würden und es den zahlreichen Besuchern ja offensichtlich gefiele. Was mich allerdings noch mehr erstaunt, ist das Schweigen oder Schulterzucken von fachlicher Seite, oft gepaart mit typischen Ein-Wort-Antworten, mal Lichtraumprofil, mal Verkehrssicherheit. Bingo! Neulich hatte ich Glück in einer Nachbargemeinde. Da erklärte mir ein Gärtner an einem gut 10 Meter hohen Stamm einer von jedem Ast befreiten „Kopf-Platane“, dass es doch bekannt sei, dass Gehölze umso stärker ausschlagen, je stärker der Rückschnitt erfolgt.
In solchen Momenten ärgere ich mich über meine Feigheit, solche Formen professioneller oder institutioneller Sachbeschädigungen nicht zur Anzeige zur bringen.
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